Ein sanfter Wind kitzelt meine Wangen. Ein paar Meter entfernt telefoniert eine Frau auf Italienisch. Jemand aus der Nachbarschaft hat das Fenster geöffnet und hört eine Radiosendung. Ich sitze auf dem Balkon und lächle die Pflanzen an, die mich umgeben. Der Feigenbaum ist schon so gewachsen, dass er sein eigenes Gewicht nicht mehr tragen kann. Ich bin dankbar und fühle mich wohl in meinen eigenen vier Wänden, hier in meinem kleinen Dschungel. Es sind diese stillen, aber doch geräuschvollen Momente, die mich erden. Gleichzeitig sind es diese Augenblicke, die mich nachdenklich stimmen und die großen Fragen an mich und mein Leben richten. Dann, wenn ich einen kleinen Moment im Hier und Jetzt ankomme, tauchen sie auf:
Wer bin ich? Wer möchte ich sein? Wohin gehöre ich?
Im Grunde bin ich ziemlich müde, mir diese Fragen immer wieder zu stellen. Tue ich schon nichts anderes mein ganzes Leben lang. Früher glaubte ich noch, ich würde die Antwort irgendwann finden. Ich dachte, ich würde mir nur einbilden, mich nie wirklich daheim zu fühlen. Mit allen Mitteln versuchte ich immer wieder dieses Gefühl loszuwerden, fehl am Platz zu sein. Es ist nicht mehr so wie früher, damals, als Kind, als ich noch herausstach mit meinen Haaren, die sich in den Händen wie Wolle anfühlten. Nein, ganz bestimmt ist es heute nicht mehr so, wenn um mich herum Frauen mit Kopftüchern ihre Kinderwagen herumschieben, oder ich Sonntags im türkischen Laden das Frühstück hole. Es ist bunt um mich herum, alles darf sein, nichts muss. So suggeriert es mir das Internet und die Regenbogenflagge an der Hausmauer nebenan.
Eine trügerische Fassade
Trotz der menschlichen Diversität verblasst meine Sehnsucht nach einem Heimatgefühl nicht. Die vermeintliche Vielfalt scheint mich zu täuschen. Hinter ihrem schönen Äußeren verbirgt sich eine düstere Realität. Die Gesellschaft ist noch nicht so weit. Die Welt zögert noch, ihre Arme für alle auszubreiten. Sie ist immer noch im Ungleichgewicht. Für die einen ist es leicht einen gut bezahlten Job zu finden, die anderen scheitern an ihrer Herkunft oder ihrer Persönlichkeit daran. Die Furcht vor dem Unbekannten verkleidet sich in subtilem Rassismus. Nicht jedem wird den gleichen Wert beigemessen.
Und ich befinde mich dazwischen, aus Gegensätzen geformt. Irgendwo in der wachsenden Kluft finde ich mich wieder, klammere mich an den scharfen Rändern fest. Vielleicht ist es gerade diese Grauzone, die mich heimatlos fühlen lässt. Einige meiner Vorfahren waren unterdrückt, während andere im Spiel des Lebens dominierten. Ein fortwährender Konflikt, der in meinem Inneren widerhallt. Ein Kind aus Öl und Wasser.
In mir lebt ein Widerspruch, der mich ständig meine Rolle in dieser Gesellschaft hinterfragen lässt. Ich trage nicht die Erfahrungen jener in mir, die ihre Heimatländer verlassen mussten, um in der Schweiz ein besseres Leben zu finden. Geboren und aufgewachsen hier, beherrsche ich die Sprache und kenne die kulturellen Normen. Dennoch verberge ich einen Teil meiner Identität, der seine Wurzeln in einem anderen Land hat, aus Angst, von der Gesellschaft nicht vollständig akzeptiert zu werden. Ich könnte der Gesellschaft die Schuld geben, aber was ist die Gesellschaft? Sie setzt sich aus verschiedenen Gruppen zusammen, die eine gemeinsame Geschichte teilen und sich in ihrer Kultur wiederfinden, besonders wenn sie sich von anderen Gruppen ausgeschlossen oder bedroht fühlen. Dann gibt es uns, die Gemischten, die weder weiß noch schwarz sind, aber auch diejenigen zweiter Generation, deren Eltern einst Migranten waren. Wir beobachten, verstehen beide Perspektiven und erkennen die Fehler auf beiden Seiten. Ständig sind wir auf der Suche nach unserem Platz, nur um zu erkennen, dass es diesen Platz vielleicht gar nicht gibt.
Nur hier, zu Hause, wo Stille und Geräusche aufeinandertreffen, bin ich wirklich ich. Hier habe ich mir meinen eigenen Ort aus den Puzzleteilen der Gegensätze erschaffen. Hier vermischen sich Öl und Wasser, als wäre kein Emulgator nötig. An diesem Ort wird mir bewusst, dass wir, die Kinder dazwischen, das Ergebnis eines Versuchs sind, die Welt zu vereinen. Solange es der Weltbevölkerung jedoch nicht gelingt, einander die Hände zu reichen, werden wir, die Kinder dazwischen, stets nach unserem Platz suchen.