Mitten in der Nacht sitze ich vor einem leeren Blatt, mit der Absicht, Worte zu finden – Worte, die mir nicht mühelos über die Finger auf die Tastatur gleiten. Worte über das Muttersein.
Immer wieder denke ich über die Mutter nach. Weil es mich betrifft. Weil es uns alle betrifft. Denn jede:r hat den Weg durch den Körper einer Mutter genommen, bevor er oder sie Jura studierte, Politikwissenschaften vertiefte oder sich zur Pflegefachperson ausbilden ließ.
Auch die Mobbenden, die Gemobbten, diejenigen, die auf der Straße leben, und die, die mit ihren Yachten durch die Buchten des Mittelmeeres cruisen – alle fanden auf dieselbe Weise durch die Mutter ihren Platz, an dem sie sich heute befinden.
Wir Mütter genießen hin und wieder Lob – solange die äußeren Umstände stimmen. Bewundernde Blicke begleiten uns, wenn die Szenerie ins gesellschaftliche Bild passt, doch es braucht nicht viel, bis kritische Zeigefinger auf uns gerichtet werden.
„Hättest du es dir eben früher überlegen sollen.“ „Sie haben Ihr Kind ja gar nicht im Griff!“ „Da ist wohl etwas bei der Erziehung schiefgelaufen.“ „Wie, dein Kind studiert nicht ethnologische Selbstverteidigungspsychologie und arbeitet stattdessen als Toilettenputzperson?“
Vielleicht bedeutet Muttersein, mit einer Lungenentzündung und einem geschwollenen Fuß sich um psychisch kranke Menschen zu kümmern, damit die Krankenkassenrechnung und die Wohnung bezahlt werden können. Damit die eigenen Kinder einen unvergesslichen Tag im Vergnügungspark erleben können.
Vielleicht bedeutet Muttersein, über ein Jahrzehnt hinweg mit kaum mehr als drei Stunden Schlaf zu leben – begleitet von einem ständigen Ziehen im Rücken, verursacht durch unermüdliches Tragen, Bücken, Aufheben, Wäscheberge bezwingen.
Vielleicht heißt es, einem Kind das Sprechen beizubringen, während Fachleute nur Hoffnungslosigkeit sehen, weil etwas im Gehirn fehlt, das andere Kinder haben.
Es bedeutet möglicherweise Augenringe, Reizüberflutung, Kopfschmerzen, Dehnungsstreifen und eine geschwächte Körpermitte. Es bedeutet immer eine Entscheidung zwischen zwei Gegensätzen: Zeit fürs Kind oder Zeit für die Arbeit. Burnout oder finanzieller Ruin. Gesellschaftliche Anerkennung (wenn die Bedingungen stimmen) oder das Leben am Rand.
Es bedeutet so vieles gleichzeitig, was in einem nächtlich geschriebenen Text gar keinen Platz findet. Es muss gefühlt werden, um verstanden zu werden, was es bedeutet diesen Mutterberg hinaufzuklettern – meistens allein, mit Schürfwunden, Sonnenbrand und Dehydration.
Wir Mütter haben uns aus der Rolle der unsichtbaren Hilfskraft im eigenen Haushalt herausgekämpft – hin zu einer Unabhängigkeit, die oft nur scheinbar existiert. Heute dürfen wir arbeiten, unsere eigenen Sehnsüchte verfolgen, Teil der gesellschaftlichen Gestaltung sein. Trotzdem droht uns die Armut im Alter, nachdem wir Jahrzehntelang unser Bestes gegeben haben, um Teil dieses Systems zu sein.
Es bleibt diese unsichtbare Kette, tief verankert in patriarchalen Strukturen. Es bleibt das nagende Gefühl des Versagens, die unerreichbare Vorstellung, jemals genug zu sein. Die Schuldgefühle, der Druck auf der Brust – die ständige Angst, es falsch zu machen: zu wenig, zu viel, zu laut oder zu leise. Was bleibt ist die Erschöpfung, die nie ganz verschwindet, der Kopf, der manchmal zu explodieren droht wegen den vielen kleinen Türmchen, zwischen denen man sitzt und die immer höher gebaut werden müssen – niemals umkippen dürfen.
Und was bleibt, ist die Liebe zu den eigenen Kindern – sie sind der Antrieb. Immer wieder. Jeden Tag.
Dieses Herz, das zu zerspringen droht, weil diese kleinen Menschen die Welt bedeuten. Weil man für sie alles tun würde – selbst mit Zahnstochern zwischen den Augenlidern, selbst mit vierzig Grad Fieber.
Der Stolz, der sich ausbreitet, wenn sie ihr erstes Wort sprechen, ihre ersten Schritte wagen, zum ersten Mal allein einkaufen gehen. Wenn sie auf dem Spielplatz ein anderes Kind trösten, das sich verletzt hat.
Und plötzlich vermischen sich Wehmut und Freude, Nostalgie und Erleichterung. Gefühle, die unkontrolliert durch den Körper wirbeln. Immer gleichzeitig.
Zum Muttertag – und eigentlich an jedem einzelnen Tag – wünsche ich mir, dass die Gesellschaft den Alltag für alle erleichtert. Dass Elternschaft nicht zur Bürde wird, sondern im Gegenteil, aktiv unterstützt. Denn, seien wir ehrlich: Die Kinder von heute sind die Erwachsenen von morgen.
Die unsichtbare Sorgearbeit, die dahinter steckt, verdient weit mehr als eine symbolische Wertschätzung mit Blumen – nicht nur am Muttertag, sondern an jedem Tag.