Ich gehöre sicherlich zu den Menschen, die manchmal ein wenig zu gutgläubig durchs Leben gehen. Ich glaube immer an das Gute im Menschen – daran, dass bei allen, noch so bösen Leuten, ein Fünkchen Nettigkeit vorhanden ist, das sich unter gegebenen Bedingungen entfachen könnte. Ich glaube manchmal auch an die Möglichkeit, vom Glück erfasst zu werden – an die Chance, eines Tages Gewinnerin eines Sechsers im Lotto zu werden oder dass eines Tages ein Brief in meinen Briefkasten flattern könnte mit der Aufschrift: „Du hast ein Haus in Andalusien gewonnen!“ Theoretisch könnte so etwas durchaus passieren – gibt es doch immer wieder Geschichten von Menschen, die im Lotto gewinnen oder sonst ungewöhnliche Geschenke vom Leben bekommen. Warum denn eigentlich nicht?
Doch in letzter Zeit landete meine Vertrauensseligkeit etwas zu oft auf dem Prüfstand: Eines Dienstagmorgens erhielt ich einen Anruf von einer mir unbekannten Nummer. Da es sich jedoch um eine Handynummer handelte, ging ich davon aus, dass ich die Person kenne. So war es jedoch nicht, und ich telefonierte kurzerhand mit einer sympathisch klingenden Frau, die mir seelenruhig verkündete, dass ich eine Reise gewonnen hätte. Natürlich klingelten zunächst die Alarmglocken in mir. Trotzdem tanzten – wie manchmal in Filmen – ein Teufelchen und ein Engelchen auf meinen Schultern, wobei das Teufelchen mir zuflüsterte, dass diese Frau doch sehr vertrauenswürdig klänge und ich vielleicht tatsächlich einmal etwas gewonnen hätte! (Ich muss hinzufügen: Ich meinte mich erinnern zu können, dass ich mal an einem Gewinnspiel teilgenommen hatte – aber was war das noch mal?)
Bevor ich mich zu früh freuen wollte, ließ ich mir mehr Details geben. Je mehr sie mir von der gewonnenen Reise erzählte, desto plausibler klang die Geschichte. Das Engelchen im Hintergrund riet mir, wachsam zu bleiben und einfach abzuwarten, was passiert. Die Frau kannte meine gesamten Daten, und sie klang – ich muss es wirklich noch einmal betonen – wirklich sympathisch (sie zählte mir sogar auf, was ich zum Frühstück bekommen würde und wie lange die Fahrt zu diesem Hotel an der Ostsee dauern würde).
Ob ich denn auch noch interessiert wäre an einer Zeitschrift – nur eine einmalige Ausgabe – ich müsse nur ein Abonnement abschließen, sollte ich Interesse bekunden am Lesen besagter Zeitschrift. An dieser Stelle hätte ich den Hörer auflegen sollen. Denn hier begann die Odyssee mit dem Zeitungsvertrag, den ich nie abgeschlossen hatte. Reisedokumente habe ich übrigens nie bekommen.
Vielleicht habe ich aus dieser Erfahrung gelernt, keinen unbekannten Menschen zu vertrauen, nur weil sie „nett“ klingen. Was ich aber nicht gelernt habe, ist, dem Internet nicht zu vertrauen – und zwar nie! Das Internet ist ein Ort der Täuschung und der Versprechungen. Wir stecken alle fest in diesem Ozean der vermeintlichen Möglichkeiten und dem ungeahnten Potenzial der Verbindungen, die wir durch die sozialen Medien eingehen. Schon länger tuckere ich mit gemischten Gefühlen auf diesem offenen Meer, das mich einerseits bis in die Küchen, Keller und Badezimmer unbekannter Lebensrealitäten führt, andererseits immer wieder die Frage aufkommen lässt: Was macht das eigentlich mit mir und mit uns allen, wenn wir ständig reizüberflutet werden durch die täglichen Storys, die wir konsumieren? Und nicht nur das: Es gibt viele Geschichten von Menschen, die durch das ständige Vergleichen der Leben in tiefe Depressionen sinken. Trotzdem habe ich – insbesondere durch Instagram – ein paar wertvolle Begegnungen gemacht, und ich habe die Möglichkeit, kritischen Stimmen zu einem ansonsten medial verschlossenen Thema zuzuhören und Hintergrundinformationen über alles Mögliche zu erhalten.
Das Internet – insbesondere Instagram – hat mein Leben schon öfter verändert oder nachhaltig beeinflusst, weshalb ich die positiven Aspekte durchaus anerkenne, die es mit sich bringt.
Und so komme ich zum jüngsten Ereignis, durch das ich meine Gutgläubigkeit einmal mehr am liebsten gegen die Wand geschleudert hätte: Ich wurde gehackt. Wie es dazu kam, ist fast schon peinlich und spiegelt meine Unachtsamkeit wider in diesem unsicheren Ozean des Internets. Ich erhielt eine Nachricht via Instagram von einer Bekannten. Ich hatte sie schon einmal kennengelernt, und unsere Jungs sind über ihre Gaming-Plattformen befreundet. Sie ist eine sympathische, liebenswerte Mutter und postet regelmäßig aus ihrem Alltag. Deshalb erschien mir ihre Nachricht völlig unauffällig, als sie mir auf Schweizerdeutsch schrieb, ob ich sie bei ihrem neuesten Projekt unterstützen könnte – sie baue sich gerade ein neues Standbein mit dem Verkauf von Kleidern auf. Na klar, antwortete ich. Schließlich weiß ich, was es bedeutet, selbstständig zu sein und gleichzeitig Kinder großzuziehen. „Wie kann ich dich unterstützen?“, fragte ich, noch immer voller Gutmütigkeit. (Hier beginnt der Teil mit dem „Gegen die Wand klatschen wollen“.)
Sie bedankte sich, und ich klickte auf den Link, den sie mir umgehend schickte. Schon war es zu spät. Erst ein paar Stunden später bemerkte ich, dass plötzlich seltsame Dinge auf meinem Instagram-Account gepostet wurden. Zunächst konnte ich mich noch einloggen und sah die fremden Storys und Feed-Beiträge, die Bitcoin und angebliche Kontoauszüge enthielten. Als ich alles löschen wollte, wurde ich plötzlich aus meinem Account geworfen und hatte keinen Zugriff mehr. Erst später erfuhr ich, dass besagte Bekannte in dieselbe Falle getappt war und sich nun ebenfalls mit den mühsamen Folgen des Hackerangriffs auseinandersetzen musste
Mein Telefon klingelte fast pausenlos – immer mehr Kontakte fragten mich, ob ich ihnen etwas über meine angebliche Bitcoin-Investition erzählen könne. Andere warnten mich davor, möglicherweise Opfer eines Hackerangriffs geworden zu sein. Ich begann mir Sorgen zu machen, was eine unbekannte Person alles in meinem Namen anstellen könnte und was mit meinen im Archiv gespeicherten Fotos geschehen würde. Was werden meine Follower:innen denken? Werde ich womöglich alle verlieren – und damit auch meiner sorgfältig aufgebauten Kontaktliste mit Menschen, mit denen ich wirklich gerne in Verbindung stehe, besonders wegen meiner Leidenschaft zum Schreiben?
Es erschreckte mich, wie sehr ich doch von dieser einen Plattform abhängig bin, die für viele ein eigenes Universum darstellt. Wie schnell ich in die Falle eines Systems geraten konnte, das im Grunde darauf abzielt, Menschen auszunutzen – denn wir sind nun einmal Wesen, die sich vernetzen wollen und anderen Menschen vertrauen. Das Traurige ist: Die Bekannte, durch deren Profil ich auf diese fiese Masche hereingefallen bin, fühlt sich schuldig, mich mit hineingezogen zu haben. Dabei kann sie überhaupt nichts dafür! Es ist ein Armutszeugnis, dass Menschen, die mit reinem Herzen durchs Leben gehen, sich selbst die Schuld geben, wenn sie Opfer hinterhältiger Machenschaften werden.
Vermutlich ist genau das der Grund, weshalb ich das Bedürfnis verspürte, meine Geschichte zu teilen: um über die Scham zu sprechen. Ich möchte mich eigentlich nicht dafür schämen, in eine Falle getappt zu sein – und doch tue ich es. Denn es ist der gleiche Ort, der innerhalb kürzester Zeit Erfolg bringen und ihn im nächsten Augenblick zunichtemachen kann.
Nun befinde ich mich in einer Schwebe – mein altes Profil liegt in Trümmern, ein neues ist noch nicht erstellt. Eine Situation, die Veit Lindau, Lebenscoach und Autor, als wertvoll bezeichnen würde: Ein Chaos bedeutet nur, dass sich das Leben neu sortiert.