Meine Psychologin hat mir einmal gesagt, dass ich meine eigenen Erfahrungen nicht auf die meiner Kinder übertragen soll. Selbst als mir während der Schwangerschaft eine Frühgeburt drohte, beruhigte mich die Hebamme mit den Worten: “Ihr Kind hat seinen eigenen Weg, für den Sie nicht die volle Verantwortung tragen können. Vertrauen Sie Ihrem Kind.” Diese Worte sind tief in meinem Gedächtnis verankert und kommen immer wieder zum Vorschein, wenn ich sie brauche. Dennoch fühle ich mich oft hin- und hergerissen zwischen Vertrauen und Kontrolle, wie ein Tennisball, der ständig hin und her geworfen wird.
Ich vertraue darauf, dass meine Kinder, wie auch ich und alle anderen Lebewesen auf diesem Planeten, ihren eigenen Plan haben. Ein Plan, der aus Schicksal, einem vorgezeichneten Muster und dem eigenen Willen, die richtigen Entscheidungen zu treffen, besteht. Doch meine Neigung zur Kontrolle ist etwas stärker, geprägt durch das lebenslange Aufrechterhalten einer Maske, die im Grunde eine Rüstung gegen jegliche Verletzungen darstellt. Es ist wahrscheinlich normal, sich im Laufe der Zeit eine solche Schutzschicht zuzulegen, denn vor bestimmten Erfahrungen muss man sich schützen, da sie wiederholt krank machen können. Andere hingegen helfen mir, mich weiterzuentwickeln.
Ich beobachte, wie ich versuche, meinen Kindern diese Rüstung anzulegen, um sie vor den zehrenden Gefühlen der Enttäuschung, Trauer und Wut zu bewahren. Dabei vergesse ich, dass diese Gefühle zum Leben dazugehören und es wichtig ist, sie zu regulieren und für sie einzustehen. Diese Gefühle sind essentiell, denn sie verbinden uns mit unserer Seele und führen uns zum Kern unseres Seins.
Doch was, wenn das Einstehen für diese Gefühle meine größte Herausforderung ist? Wie letztens, als mein Kind erneut spürte, wie es ist, wegen seiner Hautfarbe beleidigt zu werden? Wie es ist, für jemanden weniger wichtig zu sein, als dieser Mensch für mein Kind ist? Beim Zusehen und Mitfühlen brannte es unter meiner Rüstung so stark, dass ich sie ablegen und meinem Kind um das junge Herz legen wollte. Es war vermutlich einer dieser Momente, in denen ich mich in meinem Kind sah und die Grenzen zwischen uns ausfranste. In solchen Momenten bin ich dankbar für die Menschen in meinem Leben, die mich aufrütteln und sagen: „Stopp! Tritt einen Schritt zurück, atme ein und aus und sei einfach da für dein Kind. Und für dich. Alles andere regeln wir Schritt für Schritt.“
Es braucht Mut, loszulassen und nur die Begleitung zu sein, die auffängt und stützt, wertefrei – wann auch immer es nötig ist. Und es braucht Kraft, sich zuerst selbst von einer stärkenden Person begleiten zu lassen. Denn wie sollen wir wissen, wie wir unsere Kinder unterstützen können, wenn wir selbst niemanden haben, der uns an die Hand nimmt? Ist es nicht das Menschlichste der Welt, das Abenteuer Leben gemeinsam zu bestreiten, statt allein? Ich kann nicht jedes Problem allein lösen, und so kann es auch nicht mein Kind. Aber dazu muss ich es zuerst zulassen. Mich langsam herantasten an die Möglichkeiten, die sich mir bieten, sobald ich Hilfe annehme und mich öffne für Unterstützung.
Das Bewusstsein, nicht für alles verantwortlich zu sein und nicht alle Probleme allein lösen zu müssen, wirkt beruhigend. Es mindert den inneren Druck, den fast jede Mutter kennt: alles noch besser machen zu wollen. Wann begannen wir Mütter zu glauben, dass wir sämtlichen Erwartungen gerecht werden müssen? Als ob wir Frauen dazu bestimmt wären, in jedem Lebensbereich fehlerfrei zu sein. Bedauerlicherweise sind es oft wir selbst, die sich die höchsten Erwartungen auferlegen.
Warum sind wir so streng mit uns selbst?
Erwartungen sind generationsübergreifend und werden, sofern sie sich kulturell und gesellschaftlich nicht verschieben, stets weitergegeben. In meiner eigenen Kindheit sehe ich meine Großmutter, die in meinen Augen eine gesunde, intakte Beziehung führte, ein traditionelles Eheleben pflegte und nach den Regeln der konventionellen Kindererziehung handelte. Meine Mutter hingegen brach mit diesem Familienbild und war alleinerziehend. Trotzdem versuchte sie, die Messlatte hoch zu halten und ihre Stärke zu beweisen. Sie wirkte auf mich unerschütterlich und unfehlbar, was meine eigenen Erwartungen stark beeinflusste. Doch nicht nur die mütterliche Seite meiner Ahnenlinie prägte mein Selbstbild, sondern auch die gesellschaftlichen Ansprüche an mich und allgemein an Frauen, die einen erheblichen Einfluss haben. Letztendlich wollen wir alle irgendwo dazugehören und anerkannt werden, und dafür wird die eigene Authentizität leider manchmal hinter einer Maske versteckt.
Um den eigenen Perfektionismus abzulegen, muss man zuerst die Unvollkommenheit der anderen akzeptieren. Solange wir selbst noch mit dem Zeigefinger auf andere zeigen, werden die gesellschaftlichen Erwartungen an uns und durch uns Mütter und Frauen gleich bleiben. Ich möchte daher im Alltag achtsam sein, meine Empfindungen umarmen, Mitgefühl für mich und andere kultivieren, offen und neugierig sein, hinfallen und wieder aufstehen. Ich möchte Grenzen setzen, wo es nötig ist, und Grenzen öffnen, wo inneres Wachstum möglich ist. Ich möchte zulassen, heranlassen, mir Raum geben, scheitern und Fehler machen. Und ich möchte vertrauen – meinem eigenen Weg und dem meiner Kinder. Sie wie die nährstoffreiche Erde einer Pflanze immer wieder wässern und düngen, manchmal den Standort wechseln und beobachten, worin sie am besten gedeihen. Aber wachsen werden sie von selbst.