Ein bisschen Frida

Es gibt Phasen im Leben, in denen man das Gefühl hat, die Welt stünde still. Bei mir kündigte sich diese Phase im Jahr 2020 an. Im Geist herrschte turbulentes Treiben, und der Körper führte automatisch die Befehle aus, die ihm gesendet wurden – fast wie ein Roboter. Ich versuchte, alle Bauklötze, die mein Leben bedeuteten, so anzuordnen, dass sie ein stabiles Fundament bildeten, das mich durch den Alltag trägt. Doch so sehr ich mich bemühte, die Steine zu stapeln, wurden sie immer brüchiger und bildeten Risse, bis das Gerüst seinen Halt verlor und auseinanderfiel. Ich fragte mich, ob ich selbst schuld an den kaputten Stellen war. Bei manchen möglicherweise schon, bei anderen waren die Hürden einfach zu groß und ich zu klein.

Mit brüchigen Klötzen ist es schwer, den rauen Alltag zu bewältigen. Als Mutter brach es mir das Herz, den Bausteinen beim Zerfallen zuzusehen – bedeuteten sie doch nicht nur mein Fundament, sondern auch das meiner Kinder. So stand die Welt für einen Moment still.

Aber manchmal muss sie das. Manchmal muss die Welt stehen bleiben, manchmal muss es ein bisschen wehtun. Wie bei Muskeln, die nur dann wachsen, wenn sie brennen. Es sind auch die Bitterstoffe, die die Leber unterstützen – nicht die süßen Gelüste. So gab ich mich den brennenden Muskeln und der Bitterkeit hin, um innerlich wachsen zu können.

Eine Stimme in mir wurde geweckt. Sie wollte lauter werden und sich mitteilen – eine Stimme, die schon immer tief in mir wohnte und nicht mehr schweigen konnte. Denn ich fragte mich: Kann es wirklich sein, dass ich in einer Welt lebe, in der Leistung wichtiger ist als Gesundheit? In der ein entspanntes Leben an Bedingungen geknüpft ist, die nur einem Teil der Bevölkerung zustehen?

Ich dachte an Frida Kahlo, liess mich von ihr inspirieren. Auch sie kämpfte mit ihrer Körpermitte – mit ihrem Rücken, ihrer Gesundheit. Auch für sie blieb die Welt stehen – nicht nur einmal. Sie hatte nur sich selbst, Tag ein, Tag aus, und erkannte, dass es im Grunde immer so war und immer so bleiben wird. Ich schloss in dieser Zeit Freundschaft mit mir selbst und begann, durch das Schreiben eine Verbindung zwischen meinem Inneren und dem Äußeren herzustellen.

Ich erkannte, dass es nicht der Kampf ist, der sich lohnt. Es sind die Konstanten des Lebens – Achtsamkeit und Hingabe –, die Bedeutung tragen. Es lohnt sich, den Schmerz zu umarmen, ihn zu fühlen, ihn an die Hand zu nehmen und durch Kreativität greifbar zu machen, um dem Alltag neue Farben zu schenken.

Wenn die Welt stehen bleibt, sollten wir vielleicht alle ein bisschen wie Frida sein: Sie zeigt uns, dass sowohl persönliches wie kollektives Leid nicht das Ende sein muss. Vielmehr kann es ein Treibstoff sein, der uns zu Veränderung ermutigt, in uns die Schöpferkraft erweckt und uns zu persönlichem Wachstum antreibt. Fridas Kunst entstand aus den Schmerzen ihrer physischen und emotionalen Qualen, und dennoch strahlt sie eine transformative Kraft aus, die Leben und Hoffnung widerspiegelt.

Als Gesellschaft stehen wir vor kollektiven Herausforderungen. Soziale Ungleichheit, Umweltkrisen oder politische Konflikte – es gibt dramatisch viele Gründe, mutlos zu sein. Die Welt braucht deshalb mehr denn je die Kraft, Leid in Schönheit, Schmerz in Innovation und Herausforderungen in Wandel zu transformieren.

Die Frage ist nicht, ob wir diese Fähigkeit besitzen, sondern wie wir sie entfesseln können. Vielleicht liegt die Antwort in der Kunst, vielleicht in der Kreativität, oder vielleicht einfach im Mut, auch im Dunkeln nach Licht zu suchen und die Hoffnung, trotz Ohnmacht, nie aufzugeben.

2 Gedanken zu „Ein bisschen Frida“

  1. Wi toll das gschribe isch, liebi Coralie!!
    … und immer wider nach em Liecht sueche… und d‘Fähigkeite nid azwiefle, nur eifach entfessle!
    Genial!
    I wünsche dir witerhin dä Muet, wo‘s brucht! Aues Liäbe

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