Urlaub ist ein Opportunist

Es ist drei Uhr morgens, und ich bin mir nicht sicher, ob der Tag beginnt oder die Nacht endet. Oder ob sie vielleicht nie wirklich begonnen hat – die erste Nacht der Schulferien. Lange ersehnt sind die Tage, an denen ausgeschlafen und Erlebnisse geschaffen werden können. Doch um drei Uhr morgens, wenn Kinderfüße unabsichtlich in meine Rippen stoßen und das rosa Faultier in meinem Gesicht landet, beginnen meine Gedanken zu kreisen:

Wie soll ich diesen Urlaub so gestalten, dass ich für die Familie Spaß, Entspannung, Abenteuer und Arbeitszeit unter einen Hut bringen kann? Wie kann ich selbst Nervenzusammenbrüche und Schmerzen im Rücken vermeiden, wenn ich ununterbrochen auf Empfang bin und mich Schuldgefühle begleiten? Schuldgefühle, weil ich schon um drei Uhr morgens Erschöpfungszustände bekomme, während es auf dieser Welt Menschen gibt, die sich wünschen würden, sie hätten ein Bett, in dem sie von ihren Kindern nachts getreten werden könnten. Schuldgefühle, weil ich mich immer wieder frage, ob ich irgendetwas anders machen müsste – besser, schneller, größer, schlauer.

Schuldgefühle, weil es nicht die Kinder sind, die den Nervenzusammenbruch herbeiführen, sondern weil der Urlaub ein Opportunist ist.

Mir scheint nämlich, als würde sich dieser Urlaub nur bestimmte Menschen aussuchen, die sich an seiner seelentröstenden Wirkung erfreuen können: Menschen mit Geld, Menschen mit einem Auffangnetz, Menschen mit geteilter Betreuung für die Kinder und Menschen mit Gesundheit und stabilen Lebenssituationen. Deshalb fühle ich mich oft vom Urlaub hintergangen, denn wenn er mir mitten in der Nacht den Mittelfinger zeigt und mir einen vollen Beutel mit Aufgaben hinterlässt, die bewältigt werden müssen, fühlt er sich wie ein mieser Verräter an.

In den frühen Morgenstunden schleiche ich mich in die Küche. Heißes Wasser löst den Instantkaffee in meiner Tasse auf. Ich blicke auf das aufgetürmte Geschirr in der Spüle und überlege einen Moment, meinen Laptop aufzuklappen, bevor ich mich ans Aufräumen mache. Es gibt so vieles in meinem Kopf, über das ich schreiben möchte. Angefangene Arbeiten möchte ich abschließen, fristgerecht Texte einreichen. Doch auf dem Weg zum Büro, wo sich mein Laptop befindet, stolpere ich über herumliegende Unterwäsche und Socken, die ich zuerst in den Wäschekorb schmeiße, denn unaufgeräumt kann ich mich nicht auf meine Arbeit konzentrieren.

Ehe ich mich in der Stille des frühen Tages verlieren kann, höre ich die Stimmen der Kinder, die einen Streit austragen. Mein Herz klopft schneller, Hitze steigt in mir auf. Ich fühle mich nicht bereit, meine ruhigen Morgenstunden schon aufzugeben. Doch der Laptop bleibt geschlossen, mein Fokus auf die Kinder ist gefragt. Mein System schaltet auf Autopilot. Ich erledige eine Aufgabe nach der anderen, ohne Pause und ohne Rücksicht auf mein Befinden. Denn ich möchte alles für die beiden geben, um ein „Mama, warum fahren alle in den Urlaub nur wir nicht?“ zu vermeiden. Es liegt aber auch am nicht Aushalten können des ewigen Chaos‘. Wenn sich die Wohnung mit fortschreitender Tageszeit in ein wildes Durcheinander verwandelt, werden meine Sensoren überlastet und ich werde nervös. Ich brauche Ordnung, um denken zu können, und Struktur, um den Tag zu meistern. Ich brauche einen Plan.

Einen Plan, der den Tag befriedigend vorübergehen lässt. Auch wenn ich heimlich davon träume, die Koffer zu packen, ein paar Tage wegzufahren und in einer fremden Stadt in süßen Läden und Cafés zu verweilen. Und wenn wir vom Tapetenwechsel zurückkämen, mich tagsüber hinter meinem Computer zu verschanzen, mit Cappuccino und Wolldecke in die Tasten zu hauen. Abends dann die Kinder von einem spielreichen Tag in der Auswärtsbetreuung abzuholen und nach dem Zubettgehen gemütlich vor dem Fernseher die Wäsche zu falten. Und dann wäre natürlich auch ein Ausflug ins Verkehrshaus oder das Technorama möglich, ohne über Geld nachzudenken. Wir würden kein Picknick von zu Hause mitnehmen, sondern vor Ort im Restaurant speisen. Ich hätte Zeit für meine Rückenübungen und alle schmerzlindernden Massnahmen. Urlaub wäre auf diese Weise mein bester Freund.

Aber es gibt Wege, den Urlaub zu überlisten und ihm die kalte Schulter zu zeigen. So wie heute, als eine Freundin und ich uns mit den Sprösslingen in Überzahl in ihr Auto quetschen, unsere Ferienkassen zusammenlegen für den Adventuredome, den wir eine Stunde nutzen können, ehe er unser Budget sprengt. Wir teilen unsere Erschöpfung, verdoppeln unsere Essensvorräte. Da scheint sich die Last auf einmal zu halbieren. Da fühlt sich ein Nachmittag im Foodcorner des Westsides mit unserem Mitgebrachten von zu Hause plötzlich an, als säßen wir in einem Ferienresort. Da empfinden wir es überraschend gemütlich, das Einkaufscenter für uns zu haben, weil die meisten irgendwo in den Bergen einen Hang hinunterrutschen.

Dann wird mir bewusst, dass nicht der Urlaub der Opportunist ist, sondern das System, das sich auf Kosten der Gesellschaft bereichert. Ein System, das Unzufriedenheit und Leistungsdruck als Treibstoff nutzt, um die Wirtschaft zu füttern und Geld zu scheffeln. Ich realisiere, dass es enorm viel Kraft kostet, am Rande mitzuschwimmen. Gleichzeitig erkenne ich, dass es möglich ist, den Opportunisten auszuspielen, indem wir uns vernetzen und unsere Ressourcen bündeln. Schritt für Schritt. Es ist nicht leicht und es liegen viele Steine auf dem Weg sich für eine zufriedenere Gesellschaft einzusetzen. Aber vielleicht müssen wir uns immer wieder solidarisieren und nicht aufhören, für eine Kultur zu kämpfen, in der sich niemand vom Urlaub hintergangen fühlt. Eine soziale Struktur kultivieren, die keinen Urlaub benötigt, sondern auf Gemeinschaft, Gleichberechtigung sowie mentale und körperliche Gesundheit ausgerichtet ist. Wo Verzicht nicht mit Versagen gleichgesetzt wird, sondern zum Wohl der globalen und klimatischen Gesundheit angestrebt wird. Ein Urlaub, der nicht nur der Elite vorbehalten ist, sondern zum Lifestyle für alle wird – ohne den Beigeschmack des Kapitalismus.

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