Was wir mit Ameisen gemeinsam haben

In einem Interview mit der Sternstunde Philosophie (SRF) zog Bayo Akomolafe einen interessanten Vergleich: Unsere gesellschaftliche Krise sei ähnlich der Todesspirale der Ameisen. Diese gefräßigen Wanderameisen folgen stets einer Pheromonspur zu ihrer Beute und orientieren sich an ihren Vorgängern. Da sie im Heer marschieren, geraten sie in eine gefährliche Schleife, aus der sie ohne fremde Hilfe nicht entkommen können. Sie bewegen sich im Kreis bis zur völligen Erschöpfung.

Nach Akomolafe befindet sich unsere Gesellschaft in einer ähnlichen Pheromonfalle. Der Mensch folgt einer vorgegebenen Spur und manövriert sich damit ins Abseits. Um dieser Spirale zu entkommen, müssen wir uns auf völlig neue Denkweisen einlassen. Der Autor und Coach Veit Lindau betont in seinen Büchern, dass Menschen nach ihren tief verwurzelten Glaubenssätzen leben. Das Gehirn sucht ständig nach Bestätigung, dass diese Glaubenssätze wahr sind. Doch in Wirklichkeit sind es nur Glaubenssätze, die theoretisch jederzeit geändert werden könnten, wenn sie nicht so hartnäckig wären und uns festhielten, als wären wir durch ein unsichtbares Band gebunden.

Wenn man der Spiralentheorie Glauben schenkt, bräuchten wir jemanden, der uns rettet. Oft fühle ich mich tatsächlich in einer Alltagsspirale gefangen. Und unsere Kinder schleudern wir in dieselbe, ohne dass sie eine Chance zum Entkommen haben. Das Problem unserer Gesellschaft ist, dass sich das Rad immer schneller dreht und die Erschöpfung dementsprechend früher einsetzt.

Akomolafe hebt in seinem Interview hervor, dass es eigentlich keine „moderne“ Gesellschaft gibt; sie sei eine Illusion des technischen Fortschritts. Zweifellos haben wir uns entwickelt und unsere Lebensweise hat sich drastisch verändert. Aber warum lernen wir nicht aus den Fehlern früherer Generationen? Warum geschehen trotz psychologischem Wissen, Fortschritt und unendlichen Möglichkeiten immer noch so viele Schreckenstaten?

Wir alle haben den Eindruck, durch die Errungenschaften der Welt auf alles vorbereitet zu sein, als wäre alles unter Kontrolle. Doch immer wieder wird uns vor Augen geführt, wie wenig wir tatsächlich kontrollieren können. Wir sind nicht unsterblich und haben es auch nicht geschafft, Naturkatastrophen zu verhindern. Das Leben wurde durch Technologie, Kapitalismus und Fortschritt nicht erleichtert, sondern die Spirale der Belastung wurde nur weiter angefacht. Es ist also höchste Zeit, aus dieser auszubrechen.

Trotz apokalyptischer Szenarien wie Massakern, Klimawandel, Kriegen, Verbrechen und kollektivem Burnout verliere ich die Hoffnung nicht, dass gerade schwierige Zeiten den notwendigen Wandel einleiten können. In der Dunkelheit leuchtet das Licht am stärksten. Ich bin überzeugt, dass es Mut erfordert, schrittweise aus der Abwärtsspirale auszubrechen. Zudem ist es wichtig, sich bewusst zu sein, dass wir alle miteinander verbunden sind, auch wenn uns manche Schicksale fern erscheinen – sie gehören dennoch zu uns. Es bedarf daher Achtsamkeit und eines bewussten Umgangs miteinander und mit sich selbst, um sich allmählich aus der Tretmühle zu befreien. Die tief verwurzelten Bande werden nicht über Nacht zerreißen. Sie werden aber mit der Zeit lockerer und schließlich von selbst zerfallen, wenn wir beginnen, an ihnen zu ziehen und die längst fälligen Muster aufzubrechen.

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