Vor einigen Tagen erlebte ich eine faszinierende Diskussionsrunde über Emotionen und den Schutz unserer Gefühle. Es war ein freimütiger Austausch in einer intimen Frauengruppe – locker, unverstellt und belebend.
Was uns in dieser Runde vereinte, war die Erkenntnis, dass wir alle Momente erleben, in denen Emotionen uns übermannen. Wie ein unerwarteter Tsunami brechen sie manchmal aus der trügerischen Ruhe hervor und überfluten uns mit ihrer gewaltigen Kraft. Zurück bleibt oft eine tiefe Erschöpfung, die Tage anhalten kann.
Vielleicht ist es gerade dieses Nachbeben, diese Unfähigkeit, sich den Gefühlen hinzugeben, die die emotionale Achterbahn so zermürbend macht. In überwältigenden Momenten fühle ich mich wie berauscht. Es ist, als würde ich von kleinen Wesen durch das Geschehen getragen, die mein Innerstes kurz erschüttern. Zurück bleiben ein Gedankenkarussell, die Nachwirkungen, die Erschöpfung.
Wozu dieses Gefühlsgewusel?
Emotionen sind von wesentlicher Bedeutung, um das Leben richtig einzuschätzen und angemessen darauf zu reagieren. Sie leiten uns an, die beste Entscheidung für unser Wohlergehen zu treffen und verschaffen uns Orientierung. Ekel kann ein Hinweis darauf sein, dass ein Lebensmittel verdorben ist und uns krank machen könnte. Angst signalisiert eine drohende Gefahr und aktiviert unser limbisches System. Wut empfinden wir meistens dann, wenn wir etwas als ungerecht einstufen. Obwohl unser Gehirn kontinuierlich Gefühle produziert, werden wir uns dieser erst klar, wenn sie in unser Bewusstsein treten. Emotionen äußern sich nicht nur subjektiv, sondern auch physisch – ein erhöhter Blutdruck und Hitzegefühl können uns zu notwendigen Handlungen antreiben. Stellen wir uns zum Beispiel einem Löwen gegenüber, könnten wir zunächst erstarren – zumindest stelle ich es mir so vor –, was dazu führen könnte, dass der Löwe uns in Ruhe lässt. Adrenalin versetzt uns in die Lage, in extremen Situationen schnell zu reagieren.
Positive Emotionen wie Liebe sind essenziell für Vertrauen. Ohne sie fehlt die Basis für Bindungen, sei es, um eine Familie zu gründen oder sich um ein Haustier zu kümmern. Vieles kann in der Atmosphäre der Liebe gedeihen, zum Beispiel ein Dschungel in der Wohnung – aber das ist wieder ein anderes Thema…
Eine Mauer für die Gefühle
Wenn Emotionen wiederholt stark auftreten und ich sie nicht genau benennen oder verarbeiten kann, fühlt es sich an, als würden sie Risse hinterlassen – eine leichte Verletzung. Es ist vergleichbar mit einem abgetragenen Turnschuh, der seine Widerstandsfähigkeit verloren hat und bei dem die nackten Füße bereits den Boden berühren. Menschen, die ständigem Stress ausgesetzt sind, entwickeln irgendwann eine gewisse Abgestumpftheit, als hätten sie eine Mauer um ihre Gefühle errichtet. Manchen fällt dieses Schützen leichter, während andere damit kämpfen. Besonders sensible Personen empfinden bestimmte Situationen als sehr belastend.
Kann ich meine Gefühle schützen? Meistens nicht oder nur bedingt. Es sei denn, ich ziehe mich in meine eigenen vier Wände zurück – meinen persönlichen Schutzraum – oder ich meide Menschen und riskante Situationen. Aber sobald ich mich der Welt öffne – hallo –, reagiert mein limbisches System heftig. Das kann manchmal echt anstrengend sein. Wenig erstaunlich, dass ich oft emotional erschöpft bin, besonders wenn der Alltag einige schwierige Momente mit sich bringt, da bin ich wieder beim Thema des abgetragenen Schuhs…
Ein weiterer Weg, wie ich mit Emotionen umgehe, sieht zum Beispiel so aus:
Emotionen regulieren
Wenn mich etwas tief traurig oder wütend macht, habe ich mich schon öfter dabei ertappt, dass ich in diesen Gefühlen verweilen möchte. Es erfordert einen enormen Kraftakt, wenn es keine Gelegenheit dazu gibt. Ich mag es nicht, mich zusammenzureißen. Am liebsten betrachte ich die Bilder, die mich traurig machen, bewusst, um den Schmerz zu spüren. Bei wehmütigen Gefühlen, sei es wegen eines Menschen, eines Ortes oder einer Lebensphase, höre ich gerne Musik, die diese Erinnerungen verstärkt.
Vor kurzem unterzog ich mich einem Duft-Kommunikationstest bei einer Aromatherapeutin. Sie präsentierte mir verschiedene Düfte, die Erinnerungen und Emotionen wecken sollten, um eine Duftmischung zu kreieren, die mich in emotional herausfordernden Zeiten unterstützt. Schließlich fand ich mich gedanklich auf einer Bergtour mit meinem verstorbenen Großvater wieder und musste einige Tränen vergießen. Es schien, als würde mein limbisches System durch die Düfte angenehme Erinnerungen auslösen.
Somit habe ich also einen neuen Begleiter, nebst der Musik entdeckt, der mich in meiner Emotionalität begleitet.
Kein Platz für grosse Gefühle
So viel zum Thema Selbstregulation und dem Hingeben an Gefühle. Die Theorie mag schön klingen, aber die Umsetzung gestaltet sich oft schwierig. Als Mutter finde ich es in den meisten Fällen unmöglich, mich meinen Emotionen völlig hinzugeben. Oft spüre ich, wie die Hitze in mir aufsteigt, ein Kloß im Hals stecken bleibt oder es im Magen kribbelt, wenn mich ein beklemmendes Gefühl überkommt. Nervös drücke ich diese Empfindungen weg, weil ich unbewusst weiß, dass ich keine Zeit für sie habe. Wenn dann meine Tochter schlechte Laune hat und mein Sohn in genau diesen Momenten einen Erzählungsdrang verspürt, atme ich die Druckstellen in mir mühsam weg und setze für meine Kinder mein schönstes Lächeln auf. Schließlich möchte ich für sie da sein, ihr Anker. Doch die großen Gefühle lassen sich nur begrenzt aufhalten. Je länger ich versuche, die Tür zuzuhalten, desto stärker drücken sie dagegen, bis sie mit geballter Kraft die Tür aufstoßen und sich in Form von Reizüberflutung, Erschöpfung oder Wutausbrüchen zeigen. Gereizte Kinder, eine gestresste Mutter und Frust sind die Folge – und oft noch mehr belastende Emotionen.
Es müsste ein Umdenken stattfinden
Um nicht zum abgenutzten Schuh zu werden, der kaum reparabel ist, sind Emotionsregulationen äußerst wichtig. Aber wie können wir in einer Gesellschaft, in der psychisches und physisches Wohlbefinden nachrangig sind, Orte der Erholung schaffen? Wie ist es möglich, in einer Kultur, die menschliche Gefühle ständig für Leistungsdruck beiseite schiebt, diesen gerecht zu werden?
In einer Zivilisation, in der selbst Kinder lernen müssen, ihre Gefühle zu unterdrücken, wird es fast zu einem rebellischen Akt, sich Pausen zu gönnen, hemmungslos zu weinen oder laut gegen Ungerechtigkeit zu protestieren. Es erfordert Mut, mit einem niedergeschlagenen Gesichtsausdruck zum Elternabend zu gehen und Smalltalk zu meiden, weil man in seiner Traurigkeit verharren möchte. Und wer trifft sich schon gerne mit einer wütenden Freundin? Es sollte normal sein, dass wir alle mit einer vielfältigen Palette von Emotionen ausgestattet sind, die sich täglich ausdrücken möchte.
Gefühle brauchen viel Platz und dieser Platz fehlt in unserer Welt.
Ich habe beschlossen, nicht mehr vorzugeben, stark zu sein. Denn in Wahrheit bin ich es nicht, wenn täglich unzählige Verpflichtungen, erschütternde Bilder aus aller Welt und Sorgen auf mich einprasseln. Ich will mich entscheiden, Schritt für Schritt auf dieses Wunder namens Hirnrinde zu vertrauen, die mir zeigt, dass die Emotionen, die sich täglich melden, wichtige Botschaften für mich haben. Ich will jedes Mal, wenn ich spüre, dass ich meine Gefühle wieder einmal abweise, innehalten und sie willkommen heißen. Manchmal nur stückweise, weil es manchmal einfach nicht anders geht. Ich will achtsam und verständnisvoll mit den emotionalen Besuchern umgehen, die immer wieder unerwartet auftauchen.
Vielleicht ist es utopisch zu hoffen, dass mentale und emotionale Gesundheit in der Gesellschaft irgendwann wichtiger genommen werden als das Wirtschaftswachstum. Aber früher oder später werden die aufgestauten Gefühle einer ganzen Gesellschaft gegen eine Tür drücken, die zu brechen droht, wenn wir sie nicht endlich öffnen.
Wir müssen nicht alles alleine bewältigen. Das Thema Gefühle und Emotionen lässt sich trotz aller Ratgeber und selbst erworbenem Wissen nicht immer allein meistern. Deshalb halte ich es für unglaublich wichtig, sich Hilfe zu suchen, wenn man sie braucht. Ich bringe meine Gefühle regelmäßig in Therapiesitzungen ein. Es fühlt sich an, als würde mein abgetragener Schuh bei jedem Besuch ein wenig geflickt. Ich glaube, wir alle sollten uns mehr verbinden und teilen, was uns am Herzen liegt. Es ist wichtig, dass Emotionalität in der Gesellschaft mehr Bedeutung bekommt, denn ich bin überzeugt, dass die Welt besser wäre, wenn das der Fall wäre.
Ein paar Informationen aus diesem Text entstammen aus folgendem Link (auch interessant für diejenigen die noch tiefer in das Thema „Emotionen“ eintauchen möchten):
Was ist Emotion? Von Mimik bis Hormon (dasgehirn.info)
Wirksame Übungen für emotional herausfordernde Momente gibt es unter anderem hier:
Beruhigen Sie überwältigende Emotionen – Der Emotionskompass (emotioncompass.org)